GALLI

GALLI

5. März 2008 – 20. April 2008

Eröffnung

5. März 2008 - 19:00 Uhr

Einführung

Dr. Bernhard Maaz, Alte Nationalgalerie zu Berlin

1)Pressetext, 2) Text der Einführungsrede von Dr. Bernhard Maaz, Alte Nationalgalerie zu Berlin, zum Lesen bitte nach unten scrollen.

»Alles sehr rätselhaft, was mir da aus der Hand gefallen ist.«

Für Galli ist Malerei ein kontinuierlicher Prozess mit offenem Ausgang. Ihre Bilder, Zeichnungen und Collagen zeichnen sich durch eine kraftvolle Handschrift und eine große Direktheit und Lebendigkeit aus. Sie entstehen aus der spontanen gestischen Bewegung und verändern sich dann in einem längeren Prozess. Galli arbeitet an einem Bild, stellt es beiseite, holt es wieder hervor. Sie malt, übermalt, malt weiter. Die spontane Geste, das Unvorhersehbare geht zusammen mit einer allmählich erarbeiteten Bildkomposition, in der Farben und Formen ihren präzisen Platz finden.

»Aus der Hand fallen« bei diesem Malprozess menschliche Figuren, Tiere, Wesen und Gegenstände, deren Gestalt häufig zwischen verschiedenen Zuständen changiert. Einem Hocker wachsen Beine, eine Kuh reckt einen Arm in die Höhe, ein Ofen ist eine Kanne ist eine Figur mit ausgestrecktem Arm, der eine Wurst ist…

Das räumliche Umfeld der Szenen bleibt dabei so unbestimmt wie deren Bedeutung, die für Assoziationen offen ist. Linien deuten eine Perspektive an, die durch einen »Teppich« aus Farbtupfern widerrufen wird. Eine Fläche wird zum Körper und wieder zur Fläche. Alles ist in der Schwebe. Die wechselnden Gestalten, die sich verändernden Formen, die kippenden Perspektiven verhindern, dass man sieht, was man sowieso schon weiß und laden immer wieder von Neuem in die Bildwelten von Galli ein.

Seit Anfang der 1990er Jahre hat Galli ein Medium für sich entdeckt, das den ständigen Transformationen in ihren Arbeiten sehr entgegen kommt: das Buch. Galli bearbeitet, bedruckte oder leere Buchseiten. Sie zeichnet, übermalt, schneidet und überklebt die Seiten, die sich zu plastischen Collagen zusammenfügen. Beim Umblättern vollzieht sich in der Anschauung ein Prozess fortlaufender Verwandlung und Veränderung von Figuren, Formen und Räumen.

Bernhard Maaz: Galli
Wortlaut der Rede zur Ausstellungseröffnung, Berlin 5.3.2008

Sehr geehrte Künstlerin, oder: liebe Galli,
Liebe Frau Staatssekretärin a.D. Beck,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Liebe Freunde,

Beim Wieder-Lesen eines Satzes, der da lautet „Galli war von 1992 bis zu ihrem Ruhestand im Sommer vergangenen Jahres Professorin an der Fachhochschule Münster“, tritt ins Bewußtsein, daß jene agile Person, die ich im Atelier besucht habe, und eine vermeintliche ‚Ruheständlerin‘ so gar nicht zusammenpassen. Nun, von einem Ruhestand kann jedenfalls nicht die Rede sein, eher vielleicht von einem neuen kreativen Experimentalzustand: Das erste, was dem Gast im Atelier vorgestellt wurde, waren nicht die Leinwände der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, sondern es war – ein Experiment. Dieses Experiment besteht darin, daß Galli erstmals neun gleichformatige – man könnte sagen: genormte – zuvor bemalte Leinwände dergestalt untereinander verbunden hat, daß daraus ein Polyptichon wurde, ein vielflügeliger Altar, ein Mosaik einzelner „Bausteine“. Oder sollte man dieser Collage vorgefertigter Elemente eher den Sakralcharakter absprechen? Vermutlich würde Galli sehr für eine profane Auslegung plädieren.
Im Sinne von Galli wäre die gewiß zutreffende Antwort die, daß sakrale Formeln sie nicht interessierten, daß alles aus dem Machen und Formenfinden erwächst, daß Ausprobieren und Kombinieren als Wege kreativer Experimentierfreude wichtiger sind als jegliche künstlerischen oder gar kunsthistorischen Rückbezüge. Nicht Theorie und Gelehrsamkeit, sondern Spielerisches und Provokatives stehen im Fokus ihrer Annäherung an Leinwand und Farbe.
Sind die „Jungen Wilden“, denen Galli nahestand, nun nach drei Jahrzehnten eigentlich reife und ruhige Wilde geworden? Sind sie ausgeglichener oder gar sediert? Der Rückblick auf die älteren, das heißt auf die mindestens ein Jahrzehnt zurückliegenden Leinwände im Atelierfundus von Galli zeigt, daß dem mitnichten so ist. Eher möchte man in den älteren Werken eine größere Subtilität der abgestuften Farbnuancen wahrnehmen, die den nunmehr schärferen Farbtönen und den ausgespielteren Kontrasten gewichen ist. Zu denken ist an Werke wie „Haus, Affe“ in seiner erdigen Tonigkeit oder an das schier unfotografierbar dunklel gehaltene „Zur Freude der Fotografen“, beide von 1996 stammend, letzteres – wie so oft – mit Wortwitz betitelt und mystisch im Dunkel verbleibend.
Galli beendet ihre Bilder und stellt sie nach längerer oder kürzerer Zeit beiseite. Doch kommt der Fremde ins Atelier, sieht und sichtet die Malerin dann ihr eignes Oeuvre ‚en groupe‘, kann es geschehen, daß sie – wie der alte Menzel – erwägt, an dieser oder jener Leinwand weiterzuarbeiten. Kreative Selbstzweifel könnte man das nenne, die Bewegung wäre dann vielleicht „Gemäßigte Junge Wilde“ zu betiteln?
Selbst die vermeintlich durchgearbeiteten Bilder sind nicht notwendigerweise abgeschlossen, das haben wir nun gesehen. Galli macht für sich selber Notate jeweiliger Zustände, so wie andere Künstler Zustandsfotos anfertigen. Dieser feine Unterschied ist signifikant, denn das zeichnende Auseinandersetzen ist eine Gewähr für eine tiefere intellektuelle Durchdringung. Alles geht durch die Hand, durch die Finger: Der kreative Anteil physischer Arbeit ist nicht zu unterschätzen. Die Bilder werden von Galli als Farbkörper begriffen; hiervon kann man sich beim Blick auf die umgeschlagenen Leinwandränder überzeugen, die in der Tiefe des Spannrahmens farbig behandelt sind und gewissermaßen die Körperlichkeit des Bildes unterstreichen. Das führt freilich dazu, daß das mit den Zierrahmen so eine Sache ist: sie werden überflüssig und sind allenfalls bei Papierarbeiten oder großen empfindlichen Gemälden als Schutz willkommen.
Das Wiederaufgreifen, das Neubeginnen, die Selbstinfragestellung sind sicherlich jetzt leichter denkbar als seinerzeit im pendelnden Berufsleben zwischen Studenten und Atelier. Insofern ist auf Künftiges sehr zu hoffen. Sicherlich wird Galli dabei bestimmten Themen, Haltungen, Farben treu bleiben. Nehmen wir den Aspekt der Farben: Die Wahl fällt auf Acrylfarben, deren Vorzüge darin liegen, daß sie leicht zu verarbeiten sind und rasch trocknen. Doch nein – auch die Leichtigkeit des Gewichts spielt eine Rolle, denn die bemalten Leinwände lassen sich unschwer bewegen, lassen sich leicht hin-und-her-stellen, gar auch herumdrehen und also: neu sehen. Ein spannendes und aufschlußreiches Experiment lief dann darauf hinaus, daß man eine solche Leinwand mittleren Formats gegen das Licht einer Lampe hält – und dabei unter der deckenden Farbschicht erkennen kann, wie ganz gegenläufige Farbflächen, die inhomogen den Lichteinfall unterbrechen, darunter verborgen sind: „Habent sua fata“, diese Bilder.
Fata, Schicksale, haben sie in der Tat: immer wieder kreisen die Themen um Pflanzen, Tierfragmente, Menschengliedmaßen, Versatzstücke des Lebens wie Möbel. Nach Francis Bacon und Giacometti kann man keinen separierten Arm oder fragmentirten Leib mehr sehen, ohne an diese Maler zu denken. Nach dem Surrealismus erinnert jede Metamorphose eines Rohrs zum Arm an diese Epoche. Von derartigen Gelehrsamkeitsanwandlungen muß man sich freilich freimachen, denn weder transportiert Galli Bacon’sche Existenzialitätsfragen noch surrealistische Unverbindlichkeiten. Sie spielt vielmehr – mit Formen und Farben und Assoziationen. Jeglicher Zweifel an diesem künstlerischen Spieltrieb wird ausgeräumt, sobald man Titel wie „Platzhirsch“ und „Die Gabe des Gebährvermögens“ vernimmt. Sie speisen sich aus den Wahrnehmungen des Alltags, aus Radionachrichten ebenso wie aus einem Wörterbuch des Aberglaubens, also aus Splittern der Wirklichkeit, deren beliebige Untermengung und deren willkürliche Kombination ein zentraler Punkt des künstlerischen Selbstverständnisses von Galli zu sein scheint.
Im Atelier finden sich nicht nur ältere und frischere Leinwände, sondern auch Spuren einer subtilen Ironie und einer fast märchenhaften Versponnenheit in Gestalt kleiner Bücher, die ich Handarbeits-Bücher nennen möchte. Sie tragen die Spuren einer Art von Beschäftigung, die zwischen klassischer Manufakturarbeit und herkömmlichem Künstlerbuch angesiedelt ist. Sie sind mit Stift und Pinsel und Schere durchgearbeitet, sind Ergebnisse sukzessiver Entstellungen vorgefundener Bücher. Es ist im Zeitalter moderner elektronischer Medien erstaunlich, wie viele Künstler – man denke nur an die jüngst gezeigte Ausstellung von Emigholz im Hamburger Bahnhof – nicht von der Auseinandersetzung mit dem Buch als gestaltbarem und entfremdbarem Körper ablassen können und wollen. Offenbar hat das gebundene Papier einen erheblichen Reiz, den Reiz nämlich, daß man sich mit den strengen Vorgaben von Format und Blattzahl arrangieren und sich die künstlerische Freiheit erringen muß. Galli zer- und beschneidet Bücher und ihre Seiten, auch ge- oder bedruckte, und be- und verklebt, überschreibt oder übermalt sie und ihre Abbildungen, wobei mitunter nur winzige Einriffe in die gedruckten Illustrationen erfolgen. Dieser Schritt – auch der kleinste derartige – wird von ihr als eine Aneignung begriffen und betrieben, auch als eine Überwindung des Vorgefundenen. Das zuvor fremde Buch und Bild wird ihr eigen Hab und Gut. Das ist eine Art, den toten Dingen ihr eigenes Leben aufzudrücken, nicht anders als der Arm, der aus einem Ofen hervorwächst und diesen zum lebenden Wesen wandelt. Ironie und Mimikry spielen dabei natürlich eine maßgebliche Rolle.
Nun noch ein kurzer akademisch-buchhalterischer Rückblick. Galli begann 18jährig ein Studium an der Werkkunstschule in Saarbrücken, das sie 1967 abschloß. Sie studierte 1969 bis 1976 in Berlin Malerei an dem Institut, das damals noch so schön „Hochschule der Künste“ hieß, war ab 1975 Meisterschülerin, wurde Jahre später Dozentin, erhielt den Will-Grohmann-Preis und den Villa-Romana-Preis, war dann – wie schon erwähnt – als Professorin in Münster tätig und genießt, so weit ich sehe, nun die alleinig auf Berlin konzentrierte Existenz diesseits der Amtsaufgaben sehr und mit heiterer Gelassenheit.
Galli berichtete auf die Frage, welche maßgeblichen Lehren sie ihren Studenten erteilt habe, diese sollten sich immer gereinigter Pinsel bedienen, sollten vor allem unprätentiöse und schlichte Pinsel benutzen, also knackig-einfaches Handwerkszeug, und schließlich: sie sollten „einfach loslegen!“ – Nun möchte man ihr in diesem Sinne entgegnend wünschen: „einfach weiter loslegen!“, einfach weitermachen mit Rätselbildern, Bilderbüchern, Lebensbildern, Bildfragmenten, Bilderrätseln und Lebensspuren.