Leslie Huppert

UNITED I STAND

6. September 2006 – 24. September 2006

Eröffnung

5. September 2006 - 19:00 Uhr

Einführung

Claudia Brieske, Künstlerin

Rede von Claudia Brieske zur Ausstellung

Leslie Huppert ist eine Multimedia-Künstlerin, die diese Rolle im weitesten Sinne versteht.
Sie verwendet in ihren künstlerischen Prozessen viele Medien gleichzeitig: Malerei, Zeichnung, Performance, Fotografie, Video, ebenso – als Autorin komplexer Netzkunstprojekte – das Internet.

Ihr bekanntestes Netzkunstwerk ist das vielfach ausgezeichnete Projekt »The Robe – das Gewand« von 1997. Über das Internet rief sie Menschen aus aller Welt auf, ihr Kleidungsstücke zu senden, die eine besondere Bedeutung haben und eine Geschichte erzählen. Aus diesen Kleidungsstücken nähte sie eine riesige Skulpur, ein etwa 10m hohes Gewand. Sie entwickelte hier erstmals eine besondere Form plastischen Arbeitens: aus dem anonymen, virtuellen / immateriellen Raum des Internets durch die Kommunikation mit Unbekannten, etwas in den realen Raum zu »ziehen«, es zu materalisieren und es somit sinnlich erfahrbar zu machen.
Diese Methodik benutzen wir beide nun, um zusammen mit unseren Projektpartnerinnen Gertrud Riethmüller und Monika Bohr, internationale Medienkunst- und Ausstellungsprojekte zu initiieren.

Uns beide interessieren kollektive Prozesse in der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern in besonderer Weise. Sie ist ein wichtiger Bestandteil unserer künstlerischen Arbeit und so konzipierten und realisierten wir im Sommer 2001 – zusammen mit Riethmüller und Bohr – das Ausstellungsprojekt Gegenort – The Virtual Mine – die virtuelle Mine. In diesem Projekt haben wir mit Hilfe »virtueller Bohrungen« über den Kanal des Internets künstlerische Konzeptionen und Ideen (künstlerische Energien) von verschiedenen Orten in der Welt gefördert. Die Konzepte wurden zusammen mit den jeweiligen Künstlern und Künstlerinnen über E-Mails und Videokonferenzen weiterentwickelt und dann in einer stillgelegten Schachtanlage in Neunkirchen/Saar in Form von Medieninstallationen »materialisiert«.

Die politischen und sozialen Veränderungen in Europa sind Auslöser für unser aktuelles – gemeinsames – Projekt Virtual Residency.
Wir senden über das Internet einen Aufruf zu einer virtuellen „Völkerwanderung“ an Künstler und Künstlerinnen in der ganzen Welt und untersuchen die Zustände persönlicher und kollektiver Destabilisierung als eigentlichen, kraftvollen Motor der Migration: Hoffnung, Angst, Träume, Zwänge, Not, Wunsch nach Veränderung generieren individuelle Bilder, die auf unserer Website einen Aufenthaltsort bekommen. Virtual Residency verwandelt diese Bilder wiederum in reale multimediale Installationen an verschiedenen Ausstellungsorten in Europa. Das erste Ergebnis dies Projektes – die erste Ausstellung der Residency – wird Anfang Oktober diesen Jahres in Lublin (Polen) eröffnet und über Webcams im Internet weltweit zu sehen sein.

Neben diesen großen Netzkunstprojekten, in denen Leslie Huppert weltweit (nach außen) Kommunikationsstrukturen entwickelt und untersucht, gibt es einen anderen Aspekt in ihrer künstlerischen Arbeit. Dieser Aspekt hat die Auseinandersetzung mit persönlichen Beziehungsstrukturen, –verstrickungen und – vernetzungen… im »inner circle« (der persönlichen nahen Umgebung) zum Thema.

Ich möchte jetzt auf einige Arbeiten eingehen, die ab heute hier in der Saarländischen Galerie gezeigt werden und die einen Ausschnitt aus eben dieser Auseinandersetzung deutlich machen. ————-.
Sie sehen hier einen ungewöhnlichen autobiografischen multimedialen Parcours:

So z. B. die eigene »Kind-Vernetzung« zum amerikanischem Vater und zur deutschen Mutter in der Videoinstallation »United I stand« (als Projektion im mittleren Raum). Sie ist Hupperts aktuellste Arbeit und zum ersten Mal hier zu sehen. Im November wird sie auch noch in San Francisco, in der Oakland Art Gallery im Rahmen des Ausstellungsprojektes »Elsewhere-not here not there« ausgestellt werden.
Das Selbstportrait der Projektion wird von kleinen 2 Monitoren flankiert: der linke zeigt einen Film, in dem ein Auge verschiedene, aus dem Internet recherchierte Informationen über den fremden Vater, scannt. Im rechten Monitor sind dagegen Bilder aus der Lebensgeschichte / dem Lebensumfeld der Mutter in der Nachkriegszeit zu sehen. Eine ästhethische und kritische Untersuchung über die Frage: Wie kam es dazu dass die Künstlerin exestiert, was für Spuren der ihr unbekannte, ferne Vater, und die ihr sehr nahe Mutter, in ihrer eigenen Biografie, in ihrem Denken und Fühlen, hinterlässt.

Vom Video nun zur Malerei :
Die Motive der Serie »plug in« zeigen nicht gerade das tradierten Bild einer liebevollen Mutter-Kind-Beziehung. Huppert malt die Selbstportraits mit Kind eher als eine Vernetzung von zwei Individuen im Energienaustausch. Sie haben einen verstörend sezierenden Charakter, einen analytischen Kamerablick der in die Szene »reinzoomt« / sie eindringlich fokussiert.

Die Zeichnungen – in der über 2 Räume durchgehenden Hängung, zeigen die Verstrickungen / Verständigungsversuche einer Paarbeziehung als einen bizarren Comicstrip – vielleicht auch als seismografische Aufzeichnungen von Emotion und Kommunikation – wie ich finde.

In der großen Videoprojektion mit dem Titel »die Wand« im hinteren Raum findet ein hartnäckiger Ausbruchsversuch statt – vielleicht aus eben diesen vorhin beschriebenen Beziehungsgeflechten…
Die Arbeit wird auf den Raum bezogen, auf die Wand mit der geschlossenen Tür, projiziert und die Schatten der Besucher verbinden sich mit der Szene des Films.

Zum Schluß möchte ich noch 2 Arbeiten erwähnen, die in diesem Raum zu sehen sind. Sie haben mit langjährigen Reisen und Aufenthalten Hupperts in Australien und Asien zu tun.
Die Fotoserie an der Wand entstand in der Wüste Australiens, wie Huppert selbst sagt,
»ein zeitloser Ort«. Die Lochkamera-aufnahmen zeigen Selbstportraits in der das Licht, die Zeit, die Hitze eine Verschmelzung mit der umgebenden Landschaft bewirken.

Schließlich das »Mixed-Media-Tableau« mit dem Titel »Solarplex« aus dem Jahr 2005. Ich würde diese Arbeit als eine Art philosophische Betrachtung mit künstlerischen Mitteln, bezeichnen.
Die auf mehreren Tafeln gemalte Buddhafigur wird von kleinen Monitoren umrahmt / ergänzt. Sie zeigen neben Videos von »menschlichen Flugversuchen« auch die Geschichte der Gottheit Brahma: Jedes Mal wenn Brahma schläft, stirbt ein Universum und wenn er wieder aufwacht entsteht ein neues. Diese ewigen Kreisläufe enden erst, wenn er nun nicht mehr aufwachen wird, seine Existenz endet.

Neben der Videoarbeit »die Wand« ist »Solarplex« der zweite Befreiungsversuch aus dem »Leben-ist-Leiden« Zyklus. ——- Huppert beschreibt das so: »Ständig werden Menschen in Schicksale hineingeboren. Meine Arbeit beschreibt utopische Modelle, um Luft zuholen, wegzufliegen und aus den Grenzen ewiger Kreisläufe auszubrechen«.

Leslie Huppert verarbeitet in ihrem aktuellen künstlerischen Werk virtuos unterschiedlichste Medien zu eigenwilligen Tableaus, Skulpturen und Environements als machtvolle Inszenierungen zwischenmenschlicher Beziehungsenergien.
Es gibt noch einen Monitor im Durchgang, der weitere Arbeiten von ihr dokumentiert und 2 Digitalprint-Serien im Vorraum.

Ihr umfangreiches Werk – sie sehen hier wirklich nur einen kleinen Ausschnitt davon – zeigt ihre unglaubliche Arbeitsenergie. Das hat mich immer wieder ziemlich erstaunt und natürlich auch für meine eigene Arbeit inspiriert. Ich habe Leslie Huppert eigentlich nie, nicht-arbeitend erlebt. Alles Erlebte, jede Erfahrung wird unmittelbar auf eine mögliche ästhetische Qualität hin untersucht, kommentiert und dann auch umgesetzt.