Üben: Peter und Luise Hager - Preis 2023

Jihoon Jung, Mirco Kanthak, Ivan Labalestra, Haegang Lee, Siwei Li, Maribel Spanier, Heidrun Stern, Pia Treiber, Dean Weigand & Thorsten Müller, Iryna Yeroshko

23. März 2023 – 14. April 2023

Eröffnung

23. März 2023 - 19:00 Uhr

Grußwort

Susanne Trockle, Vorstand, Peter und Luise Hager-Stiftung

Einführung

Leonore Leonardy, Galerie der Hochschule der Bildenden Künste (HBKsaar), Saarbrücken

English version below

Üben: das bedeutet die wiederholte Anwendung einer Fähigkeit mit dem Ziel, diese kontinuierlich zu verbessern. Üben, das ist auch im Kunststudium eine immer noch unabdingbare wie manchmal verhasste tägliche Aufforderung an sich selbst. Zehn Arbeiten, zehn Interpretationen des Begriffs, die zeigen, dass es im Leben neben Videoschnitt oder Zeichnen noch mehr zu üben gibt.

Im Video „In die Ausstellung kommen“ ist zu sehen, wie Ivan Labalestra (1. Preis) wiederholt Anlauf nimmt, um sich durch den engen Raum zwischen zwei Laternenmasten zu zwängen. Schließlich gelingt es: Die auf die Wand projizierte Figur des Künstlers scheint im Ausstellungsraum auf die Betrachtenden zuzulaufen. Das Üben hat geholfen: Der Künstler ist „in die Ausstellung gekommen“.

Regelmäßig wie ein „Metronom“ – so der Titel der der Arbeit von Siwei Li (2. Preis) – klopft die Künstlerin im Video gegen den Bildschirm eines Kastenmonitors. Das Geräusch macht wie das Ticken einer Uhr bewusst, dass die Zeit ständig vergeht. „Die Tatsache des Todes, der Einmaligkeit und Vergänglichkeit jeder Minute unseres Lebens, bleibt uns im gewöhnlichen Alltag verborgen, wird aber hier ans Licht gebracht.“ Als eine „Übung“ in der Fähigkeit, diese „Ambiguität“ auszuhalten, beschreibt die Künstlerin ihre Arbeit

Manchmal werden uns durch häufiges Wiederholen die Dinge fremd: Mirco Kanthak (3. Preis) spricht seinen eigenen Namen in immer neuen Betonungen und Variationen aus, bis er zum rein phonetischen Material wird. „Ich eigne mir etwas an, das synonym zu mir sein soll, ich aber nicht selbst ausgewählt habe. Verursacht die ständige Wiederholung eine Annäherung oder bleibt am Ende eine Wortmasse…?“

Jihoon Jung zeigt in seiner Videoperformance „Man hat eigene Übung“ die Grenzen des Übens gleich zwei Mal auf: Der Künstler versucht immer wieder aufs Neue, weil er nur einen Arm hat, seinen Oberkörper vollständig als Projektionsfläche zu bemalen. Auf diese unvollständige Fläche wird eine Szene projiziert, in der Jihoon Jung sich abmüht, mit nur einer Hand, ein Steak zu schneiden. Das Geräusch des Messers, das ständig den Teller und nicht das Fleisch trifft, zeigt, wie ineffektiv die ganze Aktion trotz Wiederholung ist.

Haegang Lees Arbeit „Völklinger Hütte“ ist ein Versuch, deutsche Architektur und Geschichte aus der Perspektive eines Koreaners zu interpretieren und dadurch besser zu verstehen. Die verschiedenen Funktionsbautypen der stillgelegten Hütte werden im Stil koreanischer Malerei wiedergegeben. Seine auf einem großformatigen Deko-Banner gedruckte Wiedergabe einer Zeichnung zeigt uns die Völklinger Hütte als eine Ansammlung von Gebäuden aus Stein und Holz, Materialien, die in der koreanischen Architektur Ende des 19. Jahrhunderts häufig verwendet wurden.

Für Patient*innen, die Schäden am Stütz- und Bewegungsapparat haben oder lange Krankenhaus-Aufenthalte zu durchleben haben, gibt es neben der regelmäßigen Physiotherapie, kaum Möglichkeiten, Beweglichkeit und Kraft zu trainieren. Thorsten Müller und Dean Weigand haben mit dem „Genesungssystem“ ein flexibles und leicht transportierbares Tool entwickelt, das Farbe und Leichtigkeit in das oft triste Trainingsumfeld von Physiotherapie oder Krankenhäusern bringt. An einem Handlauf, der sich in fast allen Räumen und Fluren eines Krankenhaus befindet, können die bunten Übungselemente die Möglichkeit bieten, mit Therapeut*innen, Zimmergenoss*innen oder alleine, Übungen durchzuführen.

Für Kinder ist es gar nicht so einfach, mathematische Grundkenntnisse zu erlangen. Zahlen sind abstrakte Größen, Operationen mit Zahlen häufig schwierig. Um Kenntnisse in diesem Bereich auszubauen und zu verinnerlichen, ist es wichtig, dass die abstrakten Einheiten und das Systematisieren bestimmter Operationen veranschaulicht werden. Mit dem „RR-20-2.0“von Maribel Spanier, einem Rechenschieber, sind mehr Möglichkeiten zur Zahldarstellung, Zahlerfassung und Entwicklung von individuellen Lösungswegen gegeben. Grundlagen in diesem Bereich sind notwendig, um ein Verständnis für größere Zahlenräume aufzubauen.

Heidrun Sterns Video-Installation „Hommage an Miss Polly“ gibt uns Einblick in den Übungsalltag von Fallschirmjägern: Ein Tag im Juli 2022 auf dem Flugfeld in Saarlouis-Düren. Übungssprünge der Soldaten. Aber was ermöglicht den Fallschirmsprung? Käthe Paulus erfand 1915 den Paketfallschirm, der bis heute unverändert genauso präzise gepackt wird. Aus der mechanischen Kulturtechnik des Faltens, Bindens und Knotens setzte die geniale Erfinderin einen Meilenstein des technischen Standards, der weitere Entwicklungen beeinflusste.

In der Video-Performance „Kohle verschleudern” übt sich Pia Treiber im Golfen mit Steinkohle. Sie versucht dabei, eine durch einen Metallring angezeigte schwarze Null zu treffen. Die zahlreichen Wiederholungen hinterlassen ihre Spuren auf dem weißen Papier, mit dem der Übungsraum ausgelegt ist. Die Arbeit bezieht sich auf die politische Entscheidung, zwei Steinkohlekraftwerke im Saarland aus der Notreserve wieder ans Netz zu bringen und einen Block eines Völklinger Kraftwerkes weiter am Netz zu lassen, der ursprünglich im Oktober 2022 abgestellt werden sollte.

Ira Yeroshko hat in „Traces“ drei Mal eine Karte von Russland bestickt, nicht um wie in einer Übung immer besser zu werden, sondern um bestimmte Spuren zu visualisieren. Die roten Stiche zeigen, wohin ukrainische Menschen seit dem Beginn der Invasion deportiert wurden. Die schwarzen Stiche zeigen, wohin russische Männer geflohen sind, um einer Teilmobilisierung zu entgehen. Die blauen Stiche stehen für die Wege, die die russischen Soldaten gemacht haben, die ab dem 21. September 2022 für den Kriegseinsatz mobilisiert wurden.

Mit dem Peter und Luise Hager-Preis, den die Hochschule der Bildenden Künste Saar gemeinsam mit der Peter und Luise Hager-Stiftung auslobt, werden studentische Arbeiten und Positionen ausgezeichnet, die künstlerisch und gestalterisch hochwertig die sinnliche Erfahrbarkeit und Vermittlung von technischen, sozialen und kulturellen Prozessen thematisieren.

Die 2010 gegründete gemeinnützige Stiftung unterstützt Projekte zur Förderung von Erziehung und Bildung, Kunst und Kultur, Umweltschutz, Wissenschaft und Forschung und Sozialem. Die Peter und Luise Hager-Stiftung konzentriert sich dabei auf die Förderung nachhaltiger Projekte vor allem in Ländern und Regionen, in denen die Hager Group mit ihrem Angebot präsent ist.

Ausstellung in Kooperation mit der Peter und Luise Hager – Stiftung und der Galerie der HBKsaar, verantwortlich: Prof. Dr. Matthias Winzen. Kurator*innen: Jan Felix Gruse, Svenja Trampert. Es erscheint eine Publikation mit Abbildungen und Informationen zu den Arbeiten der Finalist*innen.

Practice – The Peter and Luise Hager Prize 2023

Practice is the repeated application of a skill as a means to continually improve it. Practice, even in art studies, is still an indispensable as well as, at times, detested daily personal challenge. Here, ten works, ten interpretations of the term, show that there is much more to practice in life.

In his video, you can see Ivan Labalestra (1st Prize) repeatedly run towards the narrow space between two streetlamps before managing, finally, to squeeze through it. The artist’s figure projected onto the wall seems to be running towards the viewers in the exhibition space. Evidently, “practice” helped in “Coming to the Exhibition”, as the work is called.

As regularly as the Metronome(e) for which she named her video work, Siwei Li (2nd prize) taps on the screen of a box monitor. Like the ticking of a clock, the sound reminds us that time never stops. “Death and the uniqueness of every minute in our fleeting existence remain hidden from us in everyday life, but here they are brought to light.” The artist describes her work as practice in “enduring this ambiguity”.

Sometimes, as in the video performance Mir|co Kan|thak, frequent repetition renders a thing alien to us. Mirco Kanthak (3rd Prize) varies the pronunciation of his own name so often as to turn it into purely phonetic material. “I appropriate something that is supposed to be synonymous with me, but that I didn’t choose. Does the constant repetition end in approximation or merely in a jumble of words?”

In the video performance “Man hat eigene Übung [A Practice of One’s Own], Jihoon Jung, who has only one arm, presents two examples of the limits of practice: first, the artist tries, time after time, to paint his upper body for use as a screen. But he only partly succeeds, as we see when footage of him struggling to cut a steak is projected onto his torso. The sound of the knife constantly hitting the plate and not the meat, shows how ineffective the whole action is, despite the repetition.

Haegang Lee’s work “Völklinger Hütte” is his attempt to interpret German architecture and history from a Korean perspective and thus to better understand it. In a drawing done in the Korean style of painting then printed on a large-format decorative banner, we see the closed-down Völklingen Ironworks’ various types of functional building: an architectural ensemble in wood and stone, two materials frequently used in Korean architecture in the late 19th century.

Patients with an impaired musculoskeletal system or who have to endure long stays in hospital have few opportunities to train for mobility and strength, apart from regular physiotherapy. Now, Thorsten Müller and Dean Weigand’s development of “recovery system” has brought colour and levity to the often, dreary world of rehab. Once attached to a handrail (of the sort ubiquitous in almost all hospital rooms and corridors), the colourful elements of this modular and easily transportable tool enable patients to carry out exercises with therapists, roommates or alone.

In her video performance “Kohle verschleudern” [Scattering Coal], Pia Treiber practices golfing with a lump of coal. She tries to hit a black zero indicated by a metal ring. The numerous repetitions leave their mark on the white paper that covers the practice room. The work is a reference to the government’s decision to bring back into operation two hard-coal-fired power plants in the Saarland (which had been designated the emergency reserve), and one unit of a Völklingen power plant that was originally supposed to be shut down in October 2022.

It is not at all easy for children to acquire a working knowledge of mathematics. Numbers are abstract quantities; operations with numbers are often difficult. Illustrating abstract units and the systematisation of certain operations is vital, if knowledge is to be gained and retained. Maribel Spanier’s design of a kind of abacus, the “RR-20-2.0”, offers ways to represent and recognise numbers and to work out solutions by oneself. These basics are the first step towards understanding larger numerical ranges.

Heidrun Stern’s video installation “Homage to Miss Polly” gives us a glimpse of the everyday practice of paratroopers in training. Combined with these images are documentary clips showing Katherina “Käthe” Paulus (1868–1935), who was not only the ingenious inventor of the backpack collapsible parachute, in 1915, but also the first ever German female parachutist, making over 165 jumps in her lifetime.

In “Spuren” [Traces], Ira Yeroshko has embroidered a map of Russia three times over – not in hope of improving her technique through regular practice, but in order to illustrate specific traces. The red stitches show where Ukrainian people have been deported to since the start of the invasion. The black stitches show where Russian men have fled to, to escape partial mobilisation. The blue stitches represent the routes taken by those Russian soldiers mobilised for the war effort since 21 September 2022.