Peter und Luise Hager - Preis 2022: Nicht-Tun

Céline Gieseler, Jihoon Jung, Ivan Labalestra, Carlos Molina, Sarah Niecke, Joohee Oh, Marika Pyrszel, Sandra Romina Pölger, Irina Schulze, Yining Tang

17. März 2022 – 9. April 2022

Eröffnung

17. März 2022 - 18:00 Uhr

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Die Saarländische Galerie in Berlin präsentiert zum sechsten Mal Arbeiten von den Finalistinnen und Finalisten eines Preises, der seit 2012 von der Peter und Luise Hager-Stiftung gemeinsam mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar ausgelobt wird.

Die diesjährige inhaltliche Vorgabe zum Wettbewerb des Peter und Luise Hager-Preises lautete Nicht-Tun. Allein der Blick auf die Synonyme – verzichten, unterlassen, sich verweigern, etwas bleiben lassen, von etwas die Finger lassen, gar nicht erst versuchen – zeigt die Bandbreite an möglichen Bedeutungen und Assoziationen. Vom trägen Passiv-Sein über ein „Das tut man nicht“-Verbot reicht das Spektrum bis hin zur Haltung des geschehen Lassens des „Wu Wei“ im Taoismus.

Ist, etwas nicht tun, unpolitisch angesichts von Ungerechtigkeit? Mit dieser Frage beschäftigt sich Jihoon Jung (1. Preis) in seiner Stop-Motion-Animation „DEAF“ und den dazugehörigen Zeichnungen. Die düstere, drängende Musik, die die Abfolge der Bilder unterlegt, besteht aus  einer Tonvariation der Noten d, e, a, f (= taub). Sie gibt das Thema vor: es geht in Jungs Arbeit um den passiv beobachtenden Einwohner und die Medien, die sich angesichts der Proteste der Demokratiebewegung gegen die Peking-nahe Regierung in Hongkong von 2019 taub gestellt haben. Die einzelnen Szene verweisen symbolisch auf das Geschehen: Eine digitale Uhr zeigt 20:19, seitdem steht die Zeit still. In einem Gefängnis dringt ein rotierendes Leuchten albtraumartig in die Gefängniszellen, ein Gehirn ist hinter Gittern gefangen.

Im Video „Sie tun nichts, sie wollen nur spielen!“ von Sarah Niecke (2. Preis) verbindet eine Würstchenkette Mensch und Hund. Die Künstlerin hält das eine Ende des Hundespielzeugs im Mund, der Hund das andere. Die Spannung der Kette ist manchmal ausgeglichen, manchmal gerät das Seil in Disbalance, dann ist entweder der Mensch oder der Hund wieder am Zug. In diesem ernsten Spiel agieren beide auf einer Ebene. Aber: Wird der Hund dem Menschen auch wirklich „nichts tun“, wenn die Kräfteverhältnisse ausgehandelt werden? Wie groß ist das Vertrauen, das Misstrauen? Die Arbeit hinterfragt die Störungen im Tier-Mensch-Verhältnis, die auf der Jahrhunderte alten Annahme beruht, dass der Mensch eine Sonder- und Höherstellung innerhalb der Lebewesen einnimmt.

Im Corona-Jahr 2020 hat die Bundesregierung im Lockdown mit Videos für das Zu-Hause-Bleiben geworben, in dem sie Nichtstuer auf der Couch zu Helden erklärte. Ein eindrückliches Bild für die Würdigung und Anerkennung dieses Verhaltens, das durch bewusstes Unterlassen von Begegnungen eine Verbreitung des Virus verhindert hat, hat Irina Schulze (3. Preis) in ihrer Arbeit gefunden: Eine Krone aus negativen Schnelltests, präsentiert wie eine Kaiserkrone auf üppigem blauem Samt. Die Schnelltests stammen aus einer Schule, in der Tag für Tag, Kinder, Lehrerinnen und Lehrer sich bemüht haben, sich nicht zu nahe zu kommen und sich dem nervigen Ritual des Testens unterzogen haben.

„Schatten“ von Céline Gieseler ist eine digitale Collage, die durch Überlagerung von zehn Fotografien aus einer aufgelassenen Schuhfabrik entstanden ist. Die Einzel-Fotos dokumentieren, was passiert, wenn der arbeitende Betrieb nichts mehr tut: Vogelkot auf Schuhen, Rost auf Werkzeugen. In der Überlagerung verschwimmt alles zu einem „Schatten“ der Erinnerung.

Das Video „contemplation concentration“ von Ivan Labalestra zeigt den Künstler, wie er immer wieder anhebt, eine Dose zu öffnen, diese Aktion aber nie zu Ende bringt. Wechselnde Perspektiven auf die immer selbe Aktion und das gleichmäßige Klacken der Lasche bauen eine Spannung auf, die sich nicht entlädt.

Carlos Molinas Installation „Grundsteine“ entwirft aus verkohlten Holzklötzchen das Modell einer zerstörten Stadt-Landschaft, die auch als eine innere Landschaft zu lesen ist. Sie ist als Metapher für den ruinösen Zustand unserer Gesellschaft zu lesen.

Joohee Oh entlarvt in ihrer Arbeit „How to not get the visa“ auf lakonische, witzige Art und Weise, die absurden Seiten der Bürokratie. Ihre schriftliche Anweisung besteht aus der Negierung der Aktionen, die man vorzunehmen hat, um in Deutschland einen Visum-Antrag zu stellen.

Marika Pyrszels Arbeit „MU“ zeigt uns, dass das Umfeld eines „nicht-tuenden“ Subjektes, in diesem Fall eines abgestorbenen Bäumchens, ständig auf es einwirkt. Der Baum ist kaum hörbaren Klangwellen ausgesetzt, die seine Blätter zum Erzittern bringen.

„Das tut man nicht“ von Sandra Romina Pölger verweist nicht nur im Titel sondern auch in der Farbwahl auf eine der Verbots- und Droh-Fibeln deutscher autoritärer Kindererziehung: den „Struwwelpeter“ von 1844. Das Bild veranschaulicht den Widerstand gegen diese auf Gehorsam ausgerichteten Erziehung: eine Porzellanfigur, die ein quengelndes Kind in den Fängen eines Elternteils darstellt, wird von einer Kinderhand energisch vom Tisch gestoßen.

Die Stop – Motion Animation von Yining Tang ruft neben Szenen aus dem Alltag starke poetische Bilder auf, um die Angst vor dem „unerträglichen Leerstand“, vor dem Nichts-Tun, der Passivität vor Augen zu führen: Spinnen umweben die Figur im Video solange mit ihren Fäden, bis sie zu einer Mumie wird.

Mit dem Peter und Luise Hager-Preis, den die Peter und Luise Hager-Stiftung gemeinsam mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar auslobt, werden studentische Arbeiten und Positionen ausgezeichnet, die künstlerisch und gestalterisch hochwertig die sinnliche Erfahrbarkeit und Vermittlung von technischen, sozialen und kulturellen Prozessen thematisieren.

Die 2010 gegründete gemeinnützige Stiftung unterstützt Projekte zur Förderung von Erziehung und Bildung, Kunst und Kultur, Umweltschutz, Wissenschaft und Forschung und Sozialem. Die Peter und Luise Hager-Stiftung konzentriert sich dabei auf die Förderung nachhaltiger Projekte vor allem in Ländern und Regionen, in denen die Hager Group mit ihrem Angebot präsent ist.

Ausstellung in Kooperation mit der Peter und Luise Hager- Stiftung und der Galerie der HBKsaar, verantwortlich: Prof. Dr. Matthias Winzen. Es erscheint eine Publikation mit Abbildungen und Informationen zu den Arbeiten der zehn Finalist*innen.

Do Nothing: Peter and Luise Hager Award 2022

Do Nothing” announces this year’s Peter and Luise Hager Award competition. But a quick glance at the synonyms – from renunciation to neglect, from refusal to laissez-faire, from “Hands off!” to “Don’t even try!” – shows the broad range of interpretations and associations implicit in this choice of theme. From sluggish passivity to the injunction “That’s just not done”, the spectrum spans even the “Wu Wei” – “let it be” – of Taoism.

Is “Do(ing) Nothing” in the light of injustice an unpolitical stance? This is the question pursued by Jihoon Jung (1st Prize) in his stop-motion animation DEAF and the drawings it is based on. The gloomy, insistent music underscoring the image sequence consists of tonal variations on the notes d, e, a, and f. This sums up the subject of Jung’s work, namely the passive onlookers among residents of Hong Kong as well as the media there, which turned a deaf ear to the pro- democracy protests of 2019. Individual scenes symbolise the events: a digital clock shows 20:19, since when time has stood still; in a prison, a rotating light seeps into the cells as if in a nightmare; and a thinking brain is held captive behind bars.

A String of Sausages connects human beings and dogs in the video „Sie tun nichts, sie wollen nur spielen! (They do nothing, they just want to play!)“ by Sarah Niecke (2nd Prize), where one end of the said toy is in the artist’s mouth and the other in the dog’s. This tug-of-war is equal at times but now and then the human or the dog wins out, and the string of sausages marks the shifting balance of power. Both players are on the same level in this serious game …. But will the dog really “do nothing” to its human opponent once the power relations are clarified? How much trust is in play, and how much distrust? The work questions the troubled relationship between humans and their four-legged friends, which is rooted in the centuries-old supposition that human beings have a special and superior ranking among all the species on earth.

Couch potatoes are heroes, was the unexpected message in videos released by the German Federal Government in 2020, advising people to stay home during the Corona lockdown. And Irina Schulze (3rd Prize) has come up with a striking emblem of the appreciation of, and tribute paid to, people’s conscious decision to avoid encounters and so contribute to stopping the spread of the virus: a crown made of negative rapid testing kits, royally presented on opulent blue velvet. The test kits come from a school where the kids and the teaching staff have had to go through the irritating process of testing, day in and day out, as well as avoiding close contact with one another.

Schatten” (Shadow) by Céline Gieseler is a digital collage created by superimposing ten photographs of an abandoned shoe factory. Each image documents what happened when working operations ceased: bird droppings on shoes, rust on tools. Overlaying them turns all of this into a hazy memory, a mere shadow of the factory’s former self.

The video “contemplation concentration” by Ivan Labelastra shows the artist repeatedly rising to open a tin can but never actually seeing it through. Shifting perspectives on this one unchanging action and the regular click of the ring pull build a rising tension that is never dispelled.

Charred blocks of wood are the “Grundsteine” (Foundations) in Carlos Molinas installation: a model both of a cityscape in ruins and of psychological desolation. It stands as a metaphor for the disastrous state of our society today.

Johee Oh, in her work “How to Not Get the Visa”, takes a laconic and humorous look at the absurd sides of bureaucratic red tape. Her written instructions consist in negations of the steps that must be taken when applying for a visa in Germany.

MU” by Marika Pyrszel shows how the environment of an “inactive” subject – a dying tree, in this case – continues to have an effect on it. The tree is exposed to barely audible sound waves that cause its leaves to quiver.

Not only the title but also the colour scheme of “Das tut man nicht” (“That’s Just Not Done”) by Sandra Romina Pölger draws attention to a classic of German authoritarian childrearing, namely Der Struwwelpeter (Shock-headed Peter) of 1844, a book full of the dire fates that follow on naughty behaviour. The image symbolises resistance to strict obedience: a porcelain figurine showing a grouchy child in the clutches of a parent is briskly swept off the table by a child’s hand.

Yining Tang’s stop-motion animation “unbearable void” conjures strong, poetic images from everyday life to confront us with our fear of inactivity, passivity: in the video, a spider spins its web around a figure for so long that it ultimately turns it into a mummy.

The Peter and Luise Hager Prize distinguishes student projects and positions that use outstanding art and design to address the palpable experience and communication of technical, societal and cultural processes.

Instituted in 2010, the Foundation supports projects that promote outreach and education, the arts and culture, environmental protection, science, research, and social development. The Peter and Luise Hager Foundation thereby focuses on sustainable projects, above all those in German Länder and regions in which the Hager Group currently operates.
Exhibition in cooperation with the Peter and Luise Hager Foundation and the gallery of the HBKsaar, under the aegis of Prof. Dr. Matthias Winzen. An illustrated catalogue with further information on the finalists’ work will accompany the exhibition.