WISSEN | Peter und Luise Hager-Preis 2021

Marius Buck, Miriam Dockendorf, Julia Gerhards, Seokjin Hong, Jihoon Jung, Hwakyeong Kim, Kyungju Kim, Polina Trishkina, Felicitas Zenke

29. Juli 2021 – 28. August 2021

Eröffnung

29. Juli 2021 - 19:00 Uhr

English version below

Die Saarländische Galerie in Berlin präsentiert zum fünften Mal junge Kunst von den Finalistinnen und Finalisten eines Preises, der seit 2012 von der Peter und Luise Hager-Stiftung gemeinsam mit der Hochschule der Bildenden Künste Saar ausgelobt wird.

Wissen – ein abstrakter Begriff mit großem Bedeutungsspektrum und eine Herausforderung für die Teilnehmer*innen des Wettbewerbs. Wie verkörpert sich ein abstrakter Begriff in der Praxis einer konkreten künstlerischen Arbeit? Im Unterschied zu Glauben, dem Thema des vergangenen Jahres, gilt Wissen als Inbegriff von meist rational begründeter Erkenntnis. Schon die Herkunft des Begriffs aus dem althochdeutschen Wort „Wischan“, was so viel wie „gesehen haben“ bedeutet, weist auf den engen Zusammenhang von Sehen und Wissen hin und darauf, wie relativ und subjektiv diese Erkenntnisform ist. Wie können wir wissen, was wir sehen? Ist Wissen das, was ausgesprochen/geschrieben ist? Ist Wissen das, was im Internet steht?

Die Studierenden haben die Herausforderung des „großen“ Themas angenommen und präsentieren nachdenkliche, auch überraschende Arbeiten, deren Spektrum von der Auseinandersetzung mit Platons Höhlengleichnis über eine Erfindung Leonardo da Vincis bis hin zu einem Eintrag bei Wikipedia reicht.

In Polina Trishkinas Arbeit „Das Salz der Erde“ (1. Preis) ist in einem zweijährigen Verdunstungs-Prozess aus einem in eine Steinsalzlösung gelagerten Buch eine Skulptur geworden. In dem von Salzkristallen überzogenen Buchobjekt trifft das Konservierungsmittel Salz auf das kulturelle Konservierungsmittel Buch, in dem Jahrhunderte altes Wissen gespeichert ist: „Wer weiß? Vielleicht kommt irgendwann das Meer wieder in unsere Städte, nimmt Museen, Bibliotheken, alle unsere Artefakte und konserviert alles in einem gigantischen Salzdom.“ (P. Trishkina)

Seokjin Hongs Installation „Drin“ (2. Preis) verbindet die Projektionstechnik eines Overheadprojektors mit einem darüber gehängten Glaskugel-Spiel. Was sieht man in der Projektion an der Wand: Einzeller unter dem Mikroskop? Fischeier im Wasser? Gedankenblasen im Gehirn? Die Arbeit greift Fragen auf, die in dem bekanntesten „Bild“ einer Projektion aus der Philosophiegeschichte zum ersten Mal gestellt wurde, dem Höhlengleichnis: Was können wir überhaupt wissen und was sind die Grenzen und Beschränkungen unserer eigenen Erkenntnismöglichkeiten?

Wie findet theoretisches Wissen seinen Weg in die praktische Anwendung? Für seine Arbeit „Treiben“ hat sich Marius Buck (3. Preis) von Konstruktionszeichnungen von Leonardo da Vinci anregen lassen. Entstanden ist eine digital gesteuerte elektromechanische, Klang produzierende „Maschine“. Eine schneckenförmige Scheibe hebt eine Stange mit verdicktem Kopf an und lässt sie auf eine gepolsterte Scheibe fallen: aus Mechanik wird Klang. Für seine Installation hat Marius Buck das Wissen der Renaissance mit ganz aktuellem zusammengebracht: Gesteuert wird die Installation über den digitalen Code eines Mikrocontrollers. 

Das soll ein Kreis sein? Julia Gerhards lässt in ihrer Installation unser theoretisches Wissen darüber, wie ein Kreis aussieht auf die konkrete physische Form ihrer Arbeit prallen. Wir sehen einen Stapel mit vielen Blättern, auf die eine durchgehende Linie gezeichnet ist. Archiviert ist in diesem Stapel die Spur einer großen Kreisbewegung, die Julia Gerhards mithilfe eines überdimensionalen Zirkels auf einem im Kreis ausgelegten Blättern vollzogen hat.

Für die Motivation, immer mehr wissen zu wollen, die uns als Neugier antreibt, hat Kyungju Kim mit ihrer Video-Arbeit ein überzeugendes Bild gefunden. Man sieht, wie sie sich nach einem Juckreiz am Körper anfängt zu kratzen und immer weiter kratzt : Der Impuls zu Kratzen funktioniert wie der Wissensdrang. Wenn man etwas erfahren hat, will man immer noch mehr wissen. Parallel dazu zeigt der Splitscreen ihre Rechercheergebnisse aus dem Internet.

Ist Wissen das, was im Internet steht? Jihoon Jungs Arbeit „Rudolf Henke Projekt“ besteht aus einem klassischen Wikipedia-Eintrag über den verstorbenen Komponisten Rudolf Henke. Die Biografie, die man über die interaktive Installation lesen kann, ist erfunden, die Musik, die man hört, stammt von einem anderen Komponisten. Der Fake-Eintrag legt offen, wie gefährlich groß unser Vertrauen in aktuelle Wissensspeicher und -plattformen ist. Auch Miriam Dockendorfs großformatiges Bild „What‘s it all about“ reflektiert unseren Umgang mit Informationen. Die Künstlerin ist in der Zeit der Pandemie zum „Informationsjunkie“ geworden. Ihr Bild ist aus dieser Lebenspraxis heraus entstanden. Aus der Flut an übermitteltem Wissen hat sie für sie interessante Partikel/Bilder ausgewählt und sie assoziativ mit anderen verbunden oder auch überschrieben.

Mit dem Wissen, das aus Erinnerungen und Träumen zu uns kommt, befassen sich die Arbeiten von Felicitas Zenke und Hwakyeong Kim. Felicitas Zenkes Gedicht „Der schale Geschmack bleibt“ handelt von dem schmerzhaften Moment, in dem uns ein Wissen, vor dem uns unsere eigene Erinnerung bewahrt hat, erreicht. Dadurch, dass es jemand anderes ausspricht ist es fortan unlöschbar in unserem Bewusstsein eingeschrieben. Das Kopfkissen in Hwakyeong Kims Installation „Newton‘s Apple on my pillow“ verweist auf den Schlaf und den Zwischenbereich zwischen Wachen und Schlafen, in dem man versucht, sich an den Inhalt eines Traums zu erinnern. Man sammelt die Haare – Spuren eines wilden Traums? – und versucht vergeblich, mehr über den Inhalt des Traums zu erfahren.

Mit dem Peter und Luise Hager-Preis, den die Hochschule der Bildenden Künste Saar gemeinsam mit der Peter und Luise Hager-Stiftung auslobt, werden studentische Arbeiten und Positionen ausgezeichnet, die künstlerisch und gestalterisch hochwertig die sinnliche Erfahrbarkeit und Vermittlung von technischen, sozialen und kulturellen Prozessen thematisieren.

Die 2010 gegründete gemeinnützige Stiftung unterstützt Projekte zur Förderung von Erziehung und Bildung, Kunst und Kultur, Umweltschutz, Wissenschaft und Forschung und Sozialem. Die Peter und Luise Hager-Stiftung konzentriert sich dabei auf die Förderung nachhaltiger Projekte vor allem in Ländern und Regionen, in denen die Hager Group mit ihrem Angebot präsent ist.

Ausstellung in Kooperation mit der Peter und Luise Hager- Stiftung und der Galerie der HBKsaar, verantwortlich: Prof. Dr. Matthias Winzen. Es erscheint eine Publikation mit Abbildungen und Informationen zu den Arbeiten der neun Finalst*innen.

+ + + 31.7., 19 Uhr Klangperformance mit Marius Buck und Peter Strickmann + + +

For the fifth time, the Saarländische Galerie in Berlin presents contemporary art by finalists in the competition for prizes offered by the Peter and Luise Hager Foundation and the HBKSaar (Saarland University of Art and Design).

Knowledge is an abstract concept open to diverse interpretation and it therefore posed a challenge for the participants in this year’s Peter and Luise Hager Prize competition. How is an abstract concept materialised in practice, in a specific work of art? Unlike faith, last year’s theme, knowledge is generally taken to epitomise rationally justifiable insights. Derived from the Old German word “Wischan”, meaning roughly “to have seen”, the term highlights the close connection between seeing and knowing and, hence, the relative and subjective nature of perceptions of this sort. How can we know what we are seeing? Is knowledge anything spoken aloud or written down? Or is knowledge whatever can be found in Wikipedia?

Having taken up the challenge of this “major” issue, the students now present a broad spectrum of thought-provoking and also surprising work, ranging from an investigation of Plato’s cave allegory to an invention of Leonardo da Vinci’s to an entry in Wikipedia.

Polina Trishkina took 1st Prize for “Das Salz der Erde” (Salt of the Earth), a project consisting in the immersion of a book in a rock salt solution, then the latter’s gradual evaporation over a two-year period. The sculptural outcome, a salt-crystal-encrusted book, embodies the encounter of salt, a natural means of conserving organic matter, and the printed word, a cultural means of conserving knowledge, often over many centuries. “Who knows? Perhaps at some point the sea will once again flood our cities, consume our museums, libraries and artifacts, and conserve it all in a colossal cathedral of salt” (P. Trishkina).

The 2nd Prize went to Seokjin Hong for the installation “Drin” (Inside), which comprises glass baubles suspended above an overhead projector. What do we see in the projection on the wall: protozoons under a microscope, fish eggs in water, or thought bubbles in a human brain? The work references questions raised by the first and most famous image of a projection in the history of philosophy, namely Plato’s cave allegory. What are we able to know? Which limits constrain our cognitive potential?

How does theoretical knowledge find practical application? Inspired by Leonardo da Vinci’s technical drawings, Marius Buck created “Treiben“ (3rd Prize), a digitally powered electro-mechanical “sound machine”. A snail-shaped disc lifts a tapered stick then lets it fall onto a padded disc. Marius Buck brought together knowledge both from Renaissance times and the present day in his installation, for his mechanical sonic device is triggered by a digitally coded microcontroller.

Our incessant desire to know ever more, driven by curiosity, has been persuasively visualised on video by Kyungju Kim. We see the artist beginning to satisfy an itch by scratching her body… then compulsively continuing to scratch it. This impulse is not unlike our thirst for knowledge: the more one knows, the more one wants to know.

Is this supposed to be a circle? Julia Gerhards, in her installation, confronts our theoretical grasp of the look of a circle with the concrete physical form of her work: a big pile of sheets of paper, each bearing an unbroken line running from one edge to another. The pile accordingly archives the traces of a sweeping movement described by Julia Gerhards, with the aid of a huge compass, on sheets laid out in a circle with a diameter of more than 20 meters.

Knowledge sourced from our memories and dreams is the theme of the pieces presented by Felicitas Zenke and Hwakyeong Kim. Felicitas Zenke’s poem “Der schale Geschmack bleibt” (The insipid taste remains) addresses that painful moment in which knowledge that our own memory has previously protected us from is suddenly revealed; and the fact that someone else puts it into words inscribes it indelibly in our minds. The pillow in Hwakyeong Kim’s installation, “Newton’s Apple on My Pillow”, symbolises the realm of sleep or, rather, that state between slumber and wakefulness in which we endeavour to remember a dream. We gather hairs – wild oneiric traces? – and try in vain to recall the dream’s exact content.

Is knowledge whatever can be found on the Internet? “The Rudolf Henke Project” by Jihoon Jung comprises a classic Wikipedia entry concerning a deceased composer, Rudolf Henke. Yet the biography on display in the interactive installation is pure fiction, the music accompanying it stems from another composer. The fake entry highlights the dangers of our blind faith in contemporary knowledge banks and platforms. “What’s It All About”, a large-format painting by Miriam Dockendorf, likewise reflects on our approach to the Information Age”. After becoming an information junkie in the course of the Covid pandemic, the artist examined her practice. From the incessant flood of knowledge, she selected those items and images of interest to her and linked them in free association, or overwrote them.

The Peter and Luise Hager Prize distinguishes student projects and positions that use outstanding art and design to address the palpable experience and communication of technical, societal and cultural processes.

Instituted in 2010, the Foundation supports projects that promote outreach and education, the arts and culture, environmental protection, science, research, and social development. The Peter and Luise Hager Foundation thereby focuses on sustainable projects, above all those in German Länder and regions in which the Hager Group currently operates.
Exhibition in cooperation with the Peter and Luise Hager Foundation and the gallery of the HBKsaar, under the aegis of Prof. Dr. Matthias Winzen. An illustrated catalogue with further information on the nine finalists’ work will accompany the exhibition.