Roland Schauls

The Portrait Society

20. Januar 2011 – 20. März 2011

Eröffnung

20. Januar 2011 - 19:00 Uhr

Grußwort

I. E. Martine SCHOMMER, Botschafterin des Großherzogtums Luxemburg

Einführung

Prof. Dr. Bernhard Maaz, Direktor Gemäldegalerie Alte Meister und Kupferstich-Kabinett, Dresden

+++ Für den Text der Einführungsrede von Prof. Dr. Bernhard Maaz bitte nach unten scrollen.+++

Roland Schauls (*1953, Luxemburg) zeigt mit »the portrait society« in der Saarländischen Galerie ein faszinierendes Stück konzeptueller Malerei.

Zwischen 1995 und 1998 malte Roland Schauls hunderte von Künstler-Selbstportraits in Serie, ausgewählt aus der weltweit größten und bedeutendsten Selbstbildnis-Sammlung der Uffizien in Florenz. 504 der kleinformatigen Malerporträts führte er in einem großen Tableau zusammen. Das Gesamtbild zeigt die Köpfe von weltberühmten Malern wie Dürer, Rembrandt van Rijn, Peter Paul Rubens, Velazquez oder Delacroix gleichberechtigt neben denen ihrer heute kaum noch bekannten Vorläufer, Weggefährten und Nachfolger. Die Arbeit wird so zu einem großangelegten, sinnlich-anschaulichen Archiv europäischer Malerei, in dem auch das Werk von Malern, die zu ihrer Zeit Berühmtheiten waren, aber heute größtenteils vergessen sind, bewahrt wird. Die schematische, serielle Anordnung, die kein Einzelporträt hervorhebt, lässt sich auch als eine Kritik an den macht- und marktorientierten Mechanismen des Kunstbetriebs lesen, der die Bedingungen schafft, unter denen einige wenige Namen ganz groß werden und viele andere in Vergessenheit geraten. Dies führte dazu, dass Roland Schauls das Konzept des Bildes auf die Handlungsebene ausdehnte: Er gründete »the portrait society«, eine Eigentümer- und Interessensgemeinschaft, die sich nicht für die Mehrung von Kapital, sondern für die Mehrung von Wissen einsetzt und sich mit der wissenschaftlichen Wiederentdeckung der dargestellten Künstler beschäftigt.

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: The Portrait Society, Editions Clairefontaine, Luxemburg 2004, 104 Seiten, ISBN 2-919881-09-4.

Die Relativität des Ruhmes und die Geschwindigkeit des Vergessens – Roland Schauls und die Florentiner Selbstbildnisse
Bernhard Maaz

Wer glaubt, das Porträt sterbe als Gattung aus, der irrt. Thomas Ruff monumentalisierte das Bildnis, Anselm Kiefer adaptierte es, Johannes Grützke ironisierte es, und Roland Schauls systematisierte es: Der Mensch als Studienobjekt oder die Menschen als Versuchsreihe: Hier fungieren die Künstler als Dompteure der Versuchsanordnung und das Selbstbildnis als Enzym oder Katalysator der Kunst. Streng wie ein Sonett-Dichter vom Formate Petrarcas verbietet Schauls sich in seinem Großversuch »The Portrait Society« spielerische Freiheit und anarchischen Ausbruch.
Der 1953 in Luxemburg geborene Roland Schauls studierte an der Stuttgarter Akademie, beteiligte sich ab 1979 an Ausstellungen, hatte ab 1982 Einzelausstellungen in Deutschland und ab 1986 im Ausland. Sein – so weit wir sehen – Hauptwerk entstand 1995-98. Es beschäftigt uns heute hier: »The Portrait Society«. Der gut 500 Einzelbildnisse umfassende Zyklus könnte als besonders demokratisch gewertet werden, weil alle Selbstbildnisse – es sind Porträts aus zweiter Hand – auf ein Normmaß von 50 x 40 cm geeicht sind. Aber eine Normung hat auch etwas Diktatorisches, etwas Nivellierendes und dadurch sogar etwas Gefährliches – könnte man meinen.
Die Bildnisse basieren auf einer Porträtsammlung von besonderer Dimension und Genese: In den Florentiner »Uffizien« gibt es die älteste und größte Selbstbildnis-Sammlung der Welt, ein ähnlich uferloses Corpus-Werk des Erinnerns wie die National Portrait Gallery in London. Die dortigen, in munterer Willkür wechselnden Bildformate, Sichtweisen, Handschriften, Kostüme und Attribute waren Impuls für Schauls, sich der früheren künstlerischen Selbstsicht zu widmen und der Frage nach der Relativität des Ruhmes. Schauls hat seine Norm-Leinwände variantenreich relativ monochrom grundiert, um darauf eine mit Kohle, Ritzung und Weißhöhung ausgeführte Bildnis(nach)zeichnung aufzutragen, die in immer gleicher Dimension das Brustbild des historischen Künstlers repetiert oder vielmehr paraphrasiert. Die Bildniszüge wirken infolge dieser Technik recht holzschnitthaft, die Nutzung von Schwarz und Weiß auf farbigem Fonds evoziert die edle Technik des Clair-obscur-Holzschnittes.
Die Künstler sind ihrer Werkzeuge beraubt; keine Palette, kein Pinsel, keine Zeichenutensilien: Gnadenlos fokussiert sich der Blick nun auf das Gesicht, das allenfalls von einem individuellen, der jeweiligen Mode geschuldeten Bart oder Kopfputz gerahmt ist, mal auch von einem barocken Spitzen- oder Radkragen, doch nie von einer kostümkundlich präzisen Form: Der Nebel der Geschichte widerspricht die Konkretion.
Gelegentlich überzog der Maler selber diese Bildnisse noch mit einer Kunstharzmasse, die gleichsam im Zeitraffer das Werk altert, ja unkenntlich macht oder ganz an den Rand der Vernichtung treibt. Hier spielt der Künstler Gott, er waltet als Diener des Zufalls allmächtig, eigen-willig und vernichtend, er ist der Gott der Zeit, Chronos, der schließlich alles Geschaffene wieder in Frage stellt. Der Künstler als Schöpfer-Gott, diese positive Vision früherer Jahrhunderte verkehrt sich hier in den abgründigen Gott Saturn, der seine Kinder frißt.

Bildnissammlungen haben lange Tradition, der organisierte Kampf gegen die Vergänglichkeit reicht bis in die Antike zurück. Mittelalterliche dynastische Ahnengalerien, in denen nicht selten auch fiktionale Bildnisse firmierten, hatten legitimatorische Funktion, und hier kannte man das genormte Format, in dem Kontinuität simuliert werden sollte. Anderer Art waren Bildnissammlungen wie in der Leipziger Universität, wo eine Bürgerstadt ihren Stolz auf »ihre« Professoren manifestierte. In der Aufklärung wurzelt eine besonders charmante private Porträtgalerie, nämlich die des Dichters Gleim in Halberstadt, der seine ganze Bauhausung anfüllte mit den Konterfeis der Geistesverwandten. Nahezu intellekt-feindlich nimmt sich daneben die Schönheitengalerie des Königs Ludwig I. von Bayern aus – ein seltener Fall der Versammlung von Frauenbildnissen – und vielleicht ein Thema für die nächste Langzeit-Paraphrase von Roland Schauls? Sie hängen beieinander in goldenen Rahmen um ihrer Augen und Münder, Roben und Frisuren, Hälse und Brüste willen. Die Porträtsammlung der Berliner Nationalgalerie hingegen besteht nicht mehr in ihrem originären Zusammenhang – und das dürfte als einer der wenigen Beweise dafür bemüht werden, daß das Bildnis heute nicht mehr so großes Interesse erfahre wie früher. Doch auch das wird klug widerlegt durch den Bildnisraum in der Neuen Nationalgalerie.

Zurück zu Schauls‘ »Portait Society«. Wer ist hier dargestellt und weswegen? Es sind zuerst die Berühmten der Malerei, deren eigene Selbstbildnisse sich in jener Florentiner Sammlung versammelt haben, so Corot, Cranach, Delacroix, Dürer, van Dyck, Giorgione, Hogarth, Holbein, Jordaens, Rembrandt, Reynolds, Rubens, Tintoretto, Velazquez: die unsterblichen Künstler der unsterblichen Galerien. Es sind zweitens die Auch-Berühmten, die der Kenner kennt: Antonio Canova, Agostino Carracci, Jacques-Louis David, Adam Elsheimer, Johann Jakob Grund, Vilhelm Hammershøj, Anton Raffael Mengs, Gustav Richter, Alma Tadema, Christian Vogel von Vogelstein, Anton von Werner, Künstler also, von denen man nicht unbedingt sofort ein Bild vor dem inneren Auge aufscheinen sieht und bei denen der Hörer gern den Vornamen mit vernimmt. Daran fügen sich drittens die bloß dem Fachmann erinnerlichen Künstler an, deren Namen Legion sind: Stumpf gewordener Glanz des Nachlebens. Sie spiegeln das harte Schicksal der Geschichte, die eben doch vergißt, ja mehr vergessen macht als erinnert werden kann: Spuren der Selektion. Sie alle erfahren hier eine Wiederauferstehung für ein temporäres Projekt, das doch seinerseits a priori schon wieder auf Zeitlichkeit ausgerichtet ist und die Keimzelle der eigenen Vergänglichkeit trägt.
Einige Sonderfälle seien erwähnt: Schauls selber hat sich auf Tafel 1 unter Platz 5 eingerückt, ja eingeschmuggelt. Dergleichen kennt man von Selbstbildnissen auf Altartafeln des Spätmittelalters und auch von Goyas Bildnis der spanischen Königsfamilie: So schleicht sich also der Künstler ein in das Bild einer Gesellschaft, der er angehören will und die sich gegen seine Auf- oder Eindringlichkeit nicht wehren kann.
Ein anderer Sonderfall liegt vor, wenn zahlreiche Künstler in die Nichtigkeit des anonymisierten Geschichtsstoffes rückverwandelt sind: etliche Bilder sind nicht namentlich zugeordnet. Sie firmieren als Selbstbildnisse von »NN«: Wir haben die Darstellung, doch schon keinen intakten Erinnerungs-Zusammenhang mehr…
Und wieder ein anderer ein Spezialfall ist es, wenn Baccio Bandinelli und Antonis van Dyck jeweils doppelt vertreten sind. Zu erwähnen sind auch all die Fehlenden: so die Maler des Impressionismus in Paris, der Sezession in Berlin, der Brücke in Dresden, des Blauen Reiter in München, des Bauhauses in Dessau, des Surrealismus in Zürich, des Informell in New York. Sie suchten vielleicht nicht den Weg in die Ewigkeitsversprechung der Florentiner Galerie. Aber so konnten sie ihn auch nicht in dieses subjektive Kompendium der Kunstgeschichte und des Erinnerns finden.

Die Kernfragen dieser Präsentation ranken sich um die Kanon-Bildung, das kanonische Weltwissen, oder – anders ausgedrückt – um die Geschwindigkeit des Vergessens. Vielleicht müßte man noch untersuchen, ob unter den Selbstbildnissen auch ein von Schauls erfundener Künstlername sei? Dem Projekt stünde dies gut zu Gesichte, denn es würde eine weitere Kernfrage aufgeworfen: Was glauben wir von dem, was uns die Geschichte vorlegt, unbesehen? Manipulierte Nietzschetexte oder gefälschte Hitlertagebücher sind keine Novität, warum sollte man hier nicht auch ein gefälschtes Selbstbildnis wittern dürfen? Schon sind wir bei der Frage der Verläßlichkeit des vermeintlich objektiven Wissens.

Am Ende geht es aber vor allem um das Eine, um den Ruhm, die Nachwelt oder gar die Ewigkeit: Im Zweifelsfalle bedarf es dann der Rückversicherung bei scharfsinnigen Denkern. Führen wir als Georg Christoph Lichtenberg ins Feld: »Von dem Ruhme der berühmtesten Menschen gehört immer etwas der Blödsichtigkeit der Bewunderer zu, und ich bin überzeugt, daß solchen Menschen das Bewußtsein, daß sie von einigen, die weniger Ruhm, aber mehr Geist haben, durchgesehen werden, ihren ganzen Ruhm vergällt. Eigentlicher ruhiger Genuß des Lebens kann nur bei Wahrheit bestehn.« Die erwähnte ‚Blödsichtigkeit‘ der Bewunderer – das ist die Kehrseite ungenügenden Denkens, kompensierbar nur durch Wahrheit: Lichtenbergs Analytik ist nicht minder zum Kanon des Geistes zu zählen als manches dieser Selbstbildnisse, und für Lichtenberg gilt dasselbe: Andenken muß nicht massenhaft gepflegt werden, sondern das Fortleben in einigen Denkern genügt, um die Ewigkeit zu sichern.

Die Relativität des Ruhmes wird in diesem konzeptuellen Gesamtwerk zum eigentlichen Gegenstand der Überlegungen und Empfindungen: Wortlos nimmt man die Vergeblichkeit unseres unwillkürlichen Versuches wahr, diese Berühmtheiten zu identifizieren, und somit erscheint Ruhm unversehens blaß und nichtig. Der Ruhm ist eitel, »eitel« im altdeutschen Sinne, nämlich hinfällig und nicht substanziell. Wo die Kunstgeschichte als Referenz heraufbeschworen wird, da darf man auch auf Blaise Pascal rekurrieren, dessen »Pensées« das Denken schärfen: »Die größte Niedrigkeit des Menschen ist, den Ruhm zu suchen, und doch ist das grade das deutlichste Merkmal seiner Größe« ; und Pascal fährt fort, das Urteil der (anderen) Menschen sei eines der höchsten Glückskriterien: Das Urteil der anderen, »das ist der schönste Platz der Welt, und nichts kann ihn« (den Menschen) »von diesem Wunsch abbringen, und das ist die unstillbarste Sehnsucht des menschlichen Herzens.«

Über die Sehnsucht nach Unsterblichkeit und über unsterblichen Respekt sowie über die Parodie und die Paradoxie des Ruhmes denkt Schauls in diesem und durch dieses Werk nach.